Faszination (Weide-) Kuh

Wenn im Spätherbst die ersten Stürme über Nordfriesland ziehen und unsere Flächen immer wieder unter Wasser stehen, sind wir froh, mit unseren Kühen wieder im Stall zu sein. Auch dort können sie sich frei bewegen und haben rund um die Uhr große Auslaufflächen unter freiem Himmel zur Verfügung. 

Aber sobald im März das Wetter wieder  besser wird und sich auf den Weiden das erste Grün zeigt – dann wollen sie wieder ganz nach draußen – die Rinder und wir Menschen auch. Von März bis November ist bei uns Weidesaison, von April bis Oktober sind auch die Milchkühe Tag und Nacht auf der Weide. Über die Hälfte unserer Flächen sind sogenanntes Dauergrünland. Aus Gründen des Gewässer- und Erosionsschutzes darf es nicht zu Ackerland umgebrochen werden.

Auch Weidehaltung macht Arbeit, aber es ist eine andere Art der Arbeit als im Winter die Tiere im Stall zu versorgen. Als Mensch ist man während der Weidesaison gemeinsam mit seinen Kühen viel dichter an der Natur. Jeden Tag hole ich die Kühe morgens und abends nach Hause zum Melken, anschließend bringe ich sie wieder auf ihre Weide. Wenn es nicht gerade tagelang regnet, dann ist dies echte quality time für mich. Es ist eine wunderbare Art, einen Arbeitstag zu verbringen. Die Natur erwacht gerade, wenn ich früh morgens die Kühe von der Weide hole. Ich beobachte, ob die Tiere zufrieden grasen und mir fällt sofort  auf, wenn ein Tier krank sein sollte, weil es dann langsam am Ende der Herde zum Stall läuft. Gleichzeitig mache ich mir jeden Tag ein Bild davon, ob auf der Fläche noch genügend Gras für die Kühe gewachsen ist, ob wir mehr Weidefläche dazu geben müssen oder etwas für die Gewinnung von Winterfutter herausnehmen können.

Technisch gesehen ist die Kuh so etwas wie ein vierbeiniger Vollernter und Verarbeiter: Sie düngt ihre Futterfläche selbst, sie erntet ihr Futter und transportiert das verarbeitete Futter in Form von Milch selbstständig in den Melkstand. Keine Maschine, kein Diesel, die Kuh macht all das ganz allein. 

In der Weidesaison staune ich täglich immer noch über das große Wunder – wie die Kühe das tun, wofür sie wohl geschaffen worden sind – aus Gras Milch und Fleisch zu machen! Dazu erinnert mich morgens noch ein unglaubliches Konzert von vielen Vögeln daran, welchen Beitrag das Rind für die Biodiversität leistet. Viele Vögel ernähren sich von den Insekten, die in den Kuhfladen unserer Rinder leben. 

Auch wenn auf unserem Betrieb die Kreisläufe nicht perfekt geschlossen sind– unsere Kühe auf der Weide bauen eine Brücke zwischen mir als Mensch und der Natur, die uns ernährt. Das fasziniert mich seit über vierzig Jahren jeden Tag aufs Neue. 

Text & Foto: Kirsten Wosnitza